LEBEN.LEBEN.
Vor ein paar Tagen habe ich diese Seite online gestellt und eigentlich müsste ich total happy sein: ich habe so viele positive Rückmeldungen dazu bekommen… und zwar ehrlich gemeinte Rückmeldungen, die von Herzen kaman und nichts weiter bezweckten außer mit mir Anerkennung und Freude zu teilen. Unfassbar bewegend!
Und dennoch: Irgendwie kann ich meine Freude gar nicht so ausgiebig und unbeschwert genießen kann wie ich es gerne möchte. Es ist fast so, als ob ich die Handbremse angezogen hätte und mit einem mal wird mir klar: Ich traue mich einfach nicht, mich so grenzenlos zu freuen.
Warum? Das ist schnell erzählt:
In einem Moment unbändiger Lebensfreude habe ich vor vielen Jahren das Lied „Leben leben“ von Achim Reichel gehört, das für mich damals zum Ausdruck dieser großen Freude wurde. Und dann ist etwas passiert, das mich unsagbar traurig gemacht hat und die CD ist in den Tiefen meines Schrankes verschwunden. Aber: Das Leben ging weiter – und es ging auch schön weiter – und irgendwann war der Moment da und ich habe die CD wieder hervorgeholt. „Leben leben – Was kann es Schöneres geben als einfach Leben leben?!“ Wieder war da diese pure Lebensfreude und Unbeschwertheit! Und dann kam der Anruf meines Vaters: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Überlebenschancen: keine. Wieder ist die CD verschwunden… Aber auch danach ging das Leben weiter und es hat viele wundervolle Wendungen gebracht. Also wurde die CD irgendwann wieder hervorgekramt, das Lied in eine Mp3-Datei umgewandelt und dann… kam kurze Zeit später wieder eine schlimme Nachricht und dann noch eine.
Ja,wir haben uns immer wieder aufgerappelt und wenn ich nach dem „wozu“ frage, dann weiß ich, dass wir daran gewachsen sind und dass unser Band in der Familie dadurch noch stärker wurde. Wir sind füreinander da und wir haben an Tiefe gewonnen.
Aber was sich auf dem Camino Aragonés in Spanien schon angedeutet hatte, wird mir nun noch einmal mit aller Macht klar: Ich traue mich nicht, mich richtig pur und ausgelassen zu freuen. Ich habe tatsächlich Angst davor. Es ist als ob es eine eingebaute Sperre geben würde. Der Kopf weiß, dass kein Zusammenhang zwischen der Freude und den schlechten Nachrichten besteht und das Herz flüstert: „freu dich“, aber der Bauch – der ist eben auf der Flucht und warnt vor der Gefahr, vor allzu großer Freude.
Mir ist das Gespräch auf dem Pilgerweg dazu noch gut in Erinnerung: wir haben fast schon verzweifelt ein schattiges Plätzchen für eine Pause gesucht – an diesem sehr heißen Tag. Und plötzlich war da eine kleine Baum/Strauch-Gruppe und wir wussten: hier oder nirgendwo. Genau hier, auf dem Boden sitzend, schon ein bisschen kaputt und müde, habe ich all meinen Mut zusammengenommen und angefangen zu erzählen, ohne zu wissen, wo es hinführt. Denn als ich angefangen habe zu reden, war mir noch nicht klar, dass die Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren, die Angst mich zu freuen und der Prozess der Trauer mein Thema ist. Aber irgendwann war klar: das liegt oben. Dieses Gespräch mit meinen Mit-Pilgys ist für mich einer der wertvollsten Momente der Reise und füllt meine innere Schatzkiste – so berührend, Gedanken anstoßend und bewegend waren die Worte & Gesten für mich. Aber wie es oft so ist: auch das ist ein Prozess und es braucht Zeit in der Verarbeitung.
Und gerade jetzt, Wochen später, ist plötzlich alles wieder da und es ist als ob mir jetzt endlich ein Licht aufgehen würde: Ich werde die Angst vielleicht nicht los, es ist ja auch normal und gut, sich um geliebte Menschen zu sorgen, aber diese Angst muss mich nicht beherrschen und mir die Freude nehmen. Ganz im Gegenteil – vielleicht kann sie mir helfen, noch mehr den Moment zu leben: denn „JA“, wir dürfen das Leben feiern, das Leben leben – trotz alledem und gerade eben. Vielleicht die größte Herausforderung, aber auch der größte Wunsch von allen. Und „JA“, ich möchte und ich werde den Moment feiern und das Lied hören, laut und in Dauerschleife.
Trotz alledem und gerade eben! Eine echte TROTZ.REAKTION. im positiven Sinne: LEBEN.LEBEN.