AUF.HÖREN.

Bis hier hin und nicht weiter. Aber aufgeben? Irgendwie klingt das nicht nach einer echten Möglichkeit – vielleicht, weil wir dieses Wort fast immer im gegenteiligen Sinn verwenden – “Gib nicht auf” – und es mit Durchhalteparolen wie “Bleib dran”, “Mach weiter”, “Halte durch”, “Versuch’s noch mal” verbinden. Was in vielen Fällen ja auch genau richtig ist. Auf keinen Fall soll dies ein Plädoyer fürs vorschnelle Handtuchwerfen sein 😉.

Und dennoch gibt es da immer mal wieder diese eine Situation, in der “Aufgeben” die einzige richtige Option ist. Mir gefällt ja das Wort AUF.HÖREN. in diesem Kontext deutlich besser. Impliziert es doch, dass wir auf uns und auf unseren Körper hören. Herz, Bauch und Kopf sprechen manchmal eine deutliche Sprache mit uns.

So ging es mir in Island. An diesem Berg, der auf dem Foto gar nicht so steil aussieht.
Aber von Anfang an:

Wir stehen im Geothermalgebiet Hveravellir, inmitten einer völlig unwirklichen Landschaft: um uns herum blubbert und zischt, faucht und raucht es. In riesigen Löchern blubbert der blaugraue Schlamm unablässig vor sich hin, heißes Wasser fließt in schmalen Bachläufen durch die weite Ebene und an Steinhaufen treten Wolken mit heißem Wasserdampf aus der Erde. Und weil dieser Dampf z. T. reich an Schwefel ist, liegt über allem der Geruch nach faulen Eiern. So langsam bekommen wir eine leise Ahnung, welche Kräfte – und welche Hitze – im Inneren der Erde herrschen und fühlen uns angesichts dieser immensen Kraft ganz klein.

Vor uns liegt der völlig kahle Námafjall und leuchtet so wunderschön in den verschiedensten Braun-, Orange- und Rottönen. Von oben soll man einen tollen Blick haben und so machen wir uns auf, den 482 m hohen Vulkan zu besteigen. Eine machbare Aufgabe, ein Kinderspiel… Denkste!

Die ersten Meter sind noch ganz entspannt zu gehen und immer wieder bleibe ich für eine Blick- und Fotopause stehen – zu schön sind die Blicke zurück auf die “Hexenküche” und nach vorne auf den imposanten Vulkan.

Vor uns kraxelt eine kleine Gruppe den Berg hoch – oder vielleicht sollte ich besser sagen, zieht sich gegenseitig den Berg hoch. Ein Pärchen vor uns ist gerade umgedreht und geht nun mit einem Schulterzucken und ein paar Worten in einer Sprache, die ich nicht verstehe, an uns vorbei. Wir blicken uns an: Kann das denn so schwer sein? Ist doch nur ein kleiner Berg und schließlich haben wir gutes Schuhwerk und so ganz ungeübt sind wir ja auch nicht.

Kurze Zeit später weiß ich: Es ist schwer. Ich habe das Gefühl, es geht senkrecht nach oben und meine Füße finden so gar keinen Halt auf dem bröseligen, losen Gestein. Mit jedem Schritt, den ich nach oben gehe, rutsche ich auch wieder drei nach unten. Meine heißgeliebten Wanderstöcke habe ich nicht dabei und so gibt es nichts, was mir Halt geben könnte. Kein Baum, keine Befestigung, kein Felsen. Als nach ein paar Hundert Metern dann endlich drei kleine Steinbrocken kommen, schaffe ich es nur mühsam, mich umzudrehen und eine Sitzposition zu finden, bei der ich nicht gleich wieder auf dem Hosenboden den ganzen Berg hinab rutsche. Ich merke, wie meine Beine anfangen zu zittern und weiß in diesem Moment:

Bis hierhin und nicht weiter.

Ja, die Aussicht von ganz oben ist bestimmt schön – ist sie hier aber auch schon. Ja, das Gefühl, etwas geschafft zu haben, ist toll – aber die Erleichterung, diese Entscheidung getroffen zu haben, fühlt sich mindestens genausogut an. Ja, sicher hätten wir es irgendwie geschafft – aber irgendwie muss doch nicht sein.

Hier und jetzt kann ich noch AUF.HÖREN. und umkehren. Denn mein Körper spricht tatsächlich eine sehr deutliche Sprache mit mir. Der Kopf sagt: Kehr jetzt um – bevor du an den Punkt kommst, wo es weder vor noch zurück geht. Das Herz spricht von Verantwortung mir und meiner Begleitung gegenüber und der Bauch und die Beine… die wollen schon lange wieder runter.

Und so geht es also zurück. Mehr oder weniger kontrolliert und häufig unter Zuhilfenahme der Hände rutsche ich mehr als dass ich gehe den Berg hinab. Der berühmte Vierfüßlergang 😉 (Am Ende des Tages werde ich Muskelkater von den Schultern bis zum Ellbogen haben – hatte ich beim Wandern auch noch nicht). Unten angekommen bin ich einfach nur erleichtert und weiß, dass diese Entscheidung genau richtig war.

PS: Später am Tag sollte sich mein Mantra “Wer weiß, wofür es gut ist” dann mal wieder bewahrheiten: Wir konnten auf Grund der gewonnenen Zeit den Nachbarkrater Hverfjall bestiegen und umrunden – auch steil, aber kein Vergleich zum Námafjall und ein tolles Erlebnis!